Stieg Larsson ein politischer Mensch

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Karsten
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Stieg Larsson ein politischer Mensch

Beitrag von Karsten »

Das Interesse am schwedischen Krimiautor Stieg Larsson lässt nicht nach: kaum ist bekannt geworden, dass eine amerikanische Gesellschaft das Werk neu verfilmen will, da erscheint neue Sekundärliteratur über den verstorbenen Erfolgsautor und kurz darauf machen bisher unbekannte Manuskripte von Larsson Schlagzeilen. Der Autor der Milleniumtrilogie hatte sich als Siebzehnjähriger an Sciencefiction-Werken versucht.

Eine Überraschung sind diese frühen Manuskripte allerdings nicht, Jan-Erik Pettersson hat vor Kurzem das Buch „Stieg Larsson, eine politische Biografie“ herausgebracht und weist ausdrücklich auf frühe schriftstellerische Versuche des Krimiautors hin:

„Er machte Schreibversuche. Mehrere Menschen in seiner Umgebung sagen, dass er Versuche machte, mit denen er aber nicht recht zufrieden war“, erklärt Jan-Erik Pettersson. „Er war ein zurückhaltender, nicht besonders extrovertierter Mensch. Aber ein Mensch, der sich sehr darüber bewusst war, was er wollte und konnte.“

Zusammenarbeit
Im Jahr 2001 hat er Larsson als kompetenten politischen Journalisten und einen der führenden Experten für anti-demokratische Bewegungen kennengelernt, erinnert sich Pettersson. In seiner Biografie zeichnet er vor allem ein Bild des Journalisten und politischen Menschen Stieg Larsson, des Anti-Faschisten. „Wenn man mit ihm über Rassismus sprach, wurde seine Kompetenz ganz offenkundig. Er wusste ungemein viel und stellte sein Licht dabei auch nicht unter den Scheffel. Ich glaube nicht, das es in Schweden jemanden gab, der so gut über faschistische und rechtsextremistische Organisationen Bescheid wusste wie er.“

Anglo-amerikanische Vorbilder
Den Schlüssel zu Larssons großem internationalem Erfolg als Kriminalschriftsteller sieht Pettersson in Larssons persönlichem Interesse für dieses Genre: „Stieg Larsson war nicht besonders begeistert von schwedischen Krimis. Er selbst verschlang amerikanische oder englische Krimis von Schriftstellerinnen wie Elizabeth George und Sara Paretsky. Ihm gefiel Action besser als grüblerische Kripo-Teams. Das mag ein bisschen widersprüchlich erscheinen, Larsson selbst kam ja aus der sozialistischen Tradition, er war früher Trozkist. Dennoch sind seine Bücher sehr individualistisch. Das ist eher unschwedisch und hat vermutlich zum internationalen Erfolg beigetragen. Deutschland mag Schwedenkrimis sowieso, aber in Frankreich, Spanien, England und den USA kommt vor allem Larsson gut an.“

Viele Neider

Die Millennium-Trilogie ist in über 30 Sprachen übersetzt. Die Bücher haben weltweit eine Auflage von über 25 Millionen erreicht, drei Millionen davon allein in Deutschland. Und auch die Literatur über Stieg Larsson und sein Werk hat sich zu einer eigenen Industrie entwickelt. Sehr zum Unmut von Eva Gabrielsson, der Lebensgefährtin von Stieg Larsson. Behauptungen, Larsson habe seine Erfolgstexte nicht allein geschrieben, dementiert sie in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen entschieden: „Neid und Gier liegen dahinter, meine ich!“

Sie selbst habe seine Texte zwar immer vorab gelesen, aber keine Änderungen vorgenommen. Larssons Freunde und Kollegen vom Expo-Magazin haben sich darauf verständigt, nichts über Larsson zu veröffentlichen, bis der Erbstreit beigelegt ist, teilt einer von ihnen mit.

Gabrielsson arbeitet an zwei Büchern, die mit ihrem verstorbenen Lebensgefährten zusammenhängen, das erste soll im Herbst erscheinen. Genaue Informationen über die Inhalte gibt sie nicht. Aber sie erzählt von Larssons frühem Interesse für Frauenfragen. „Er bezeichnete sich schon als wir uns kennenlernten als Feminist. Damals, Anfang der Siebzigerjahre, war das recht ungewöhnlich. Männer durften sowieso keine Feministen sein. Ich glaube, er hatte das bei seinen Großeltern abgeschaut, wie eine Beziehung mit Gesprächen, Respekt und Einfühlungsvermögen aufgebaut werden kann.“

Aus Pippi wird Lisbeth

Auch Biograf Jan-Erik Pettersson erwähnt dieses Engagement in seinem Buch über Stieg Larsson. Schließlich ist die schillerndste Figur der Millennium-Trilogie eine Frau: Lisbeth Salander, die Hackerheldin. Sie sei die Weiterentwicklung einer Astrid-Lindgren-Figur, erklärt Pettersson: „Pippi Langstrumpf war das Modell für Salander! Schon lange bevor Stieg Larsson an den Krimis arbeitete, hat er einem Kollegen erzählt, dass er über Pippi schreiben wollte. Er meinte, wenn Pippi Langstrumpf nicht lernte, sich besser an die Gesellschaft anzupassen, würde es ihr einmal sehr übel ergehen.“

So machte Larsson also aus Astrid Lindgrens rothaariger Göre Pippi das traumatisierte Missbrauchsopfer, das um die Kontrolle über sein Leben kämpft, die Punkerin Lisbet Salander. Gleichzeitig zeichnete er damit ein Bild von der anderen, der düsteren Seite der schwedischen Gesellschaft: „Die Millennium-Bücher sind ja – dass hat Stieg Larsson selbst gesagt, eine Trilogie über Lisbet Salanders Leben. Was sie erlebt hat ist entsetzlich und brutal. Es widerspricht dem Bild, das viele vom Sozialstaat Schweden haben, der für alle da ist. Salander wird ja entsetzlich ausgenutzt und gepeinigt. Aber solche Übergriffe auf die Schwächsten in der Gesellschaft, auf Menschen, die sich nicht verteidigen können, geschehen eben auch in Schweden. Lisbet Salander kämpft und sie kommt durch. Aber es haben eben nicht alle ihre Fähigkeit zurückzuschlagen und sich zu rächen.“

In diesem Punkt trete Stieg Larssons gesellschaftliches Engagement deutlich zu
Tage, analysiert Pettersson. Larsson habe sich schon früh als antifaschistischer Journalist betätigt und schwebte deswegen ständig in Gefahr. 1995 wurden mehrere Menschen in Schweden von Rechtsextremisten ermordet. Damals gründete Larsson die antifaschistische Stiftung Expo und wurde Herausgeber ihrer gleichnamigen Zeitschrift.

Krimis als Altersversorgung
Er heiratete seine Lebensgefährtin Eva Gabrielsson nicht, um sie so weit wie möglich zu schützen. Da seine Tätigkeit als Journalist keine bedeutenden Einkünfte erbrachte, sollten die Krimis seine und Gabrielssons Altersversorgung sichern. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte Eva Gabrielsson heute ein ähnliches Vermögen wie Pippi Langstrumpf in ihrem Koffer voller Goldstücke oder wie Lisbet Salander aus ihrem Coup gegen den betrügerischen Geschäftsmann Wennerström.

Aber Stieg Larsson setzte kein Testament auf. Seine millionenschwere Millennium- Hinterlassenschaft fiel seinem Vater und seinem Bruder zu. Während Eva Gabrielsson noch mit den Erben prozessiert, geben diese den neuerlichen Verkauf der Filmrechte bekannt. Eine US-Filmgesellschaft will die Thriller-Trilogie erneut verfilmen.

Nach Meinung vieler Experten ist ein Teil des Erfolges der Krimiserie auf Stieg Larssons zurückgezogenes Leben und seinen plötzlichen Tod an einem Herzinfarkt 2004 zurückzuführen. Larsson hinterlässt offene Fragen.

Grenzland
Im Hinblick auf sein Leben scheinen sich die Grenzen von Wahrheit und Dichtung allmählich zu verwischen. Er selbst allerdings konnte problemlos zwischen beiden trennen, und sie jeweils für seine Arbeiten verwenden, sagt Jan-Erik Pettersson: „Eine persönliche Voraussetzung für seine Bucherfolge sehe ich darin, dass er zwei Eigenschaften besaß, die sonst selten in ein und derselben Person zusammenkommen. Die eine ist seine Begabung in einer Phantasiewelt zu leben – so wie es in den Romanen der Fall ist. Die andere ist seine Besessenheit von Tatsachen und Einzelheiten, wie wir sie auch in seinen Reportagen finden. Die meisten Menschen sind ja entweder fantasievoll oder von Einzelheiten besessen. Larssons Kombination von beidem bewirkt, dass man dem Phantastischen in seinen Büchern Glauben schenkt, weil er alles so detailliert schildert. Die Details machen seine Phantasiewelt glaubwürdig.“

Stieg ist nicht Mikael
Die Ähnlichkeiten zwischen Stieg Larsson und dem männlichen Helden der Trilogie seien eher äusserlich meint Pettersson: „Beide sind Journalisten und wollen viele Informationen zu Tage fördern und dabei nicht aufzugeben. Aber Larsson hat bestimmt kein Porträt von sich selbst machen wollen. Krimiheld Mikael Blomkvist ist ja eigentlich kein Nazijäger. Er stolpert ja eher in den schwedischen Faschismusfall hinein. Andererseits träumte Stieg Larsson sicherlich davon, ein so bekannter und anerkannter Journalist zu werden, wie Blomkvist. Aber eben kein Promi, Larsson lebte ja fast versteckt. Gemeinsam ist den beiden, ihr Bemühen, Missstände in der Gesellschaft zu enthüllen.“

Aber manchmal trafen sich Dichtung und Wahrheit eben doch, hat der Biograf von Stieg Larsson herausgefunden: „Warum trinken die Menschen in den Büchern so viel Kaffee, fragen viele Leser. Weil Stieg Larsson das tat. Das ist die realistische Seite der Krimis, der schwedische Alltag darin, der verkauft sich besonders in Deutschland gut. Aber auf der anderen Seite, wenn man Pippi Langstrumpf als Vorbild hat, dann darf man beim Schreiben auch seiner Phantasie freien Lauf lassen. Die Leser kaufen einem das ab.“

(Quelle: Radio Schweden)
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