Gedenken an die Sonnenschein-Olympiade 1912 in Stockholm

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Karsten
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Gedenken an die Sonnenschein-Olympiade 1912 in Stockholm

Beitrag von Karsten »

Verlorengegangene Sportler, Betrüger auf dem Siegertreppchen und Temperaturen von über 30 Grad – die Olympischen Spiele von 1912 in Stockholm sind nicht nur wegen sportlicher Leistungen in Erinnerung geblieben.

Eigentlich sollte die Austragungsstätte der Olympischen Sommerspiele 1912 in Stockholm nur ein Provisorium aus Holz werden. Doch Architekt Torben Grut konnte sich mit seiner Idee eines Backsteingebäudes, der Form nach inspiriert von der mittelalterlichen Ringmauer Visbys, durchsetzen. Nach zwei Jahren Bauzeit wurde es am 1. Juni vor genau einhundert Jahren eingeweiht. Und heute ist das Stadion im noblen Stadtteil Östermalm die älteste Olympische Spielstätte der Welt, die noch in Betrieb ist.

„Wäre die Organisation der Spiele von 1912 nicht so gut geglückt, wäre vielleicht die ganze Idee der neuzeitlichen Olympischen Spiele in Gefahr gewesen, gerade, weil der erste Weltkrieg eine lange Unterbrechung mit sich brachte. Daher sagt man, die Spiele von 1912 haben die Zukunft der Olympischen Bewegung gesichert.“

Jan Lindroth, emeritierter Professor für Sportgeschichte an der Universität Stockholm, weiß zu berichten, dass sich neben Stockholm keine einzige Stadt um die Ausrichtung der Spiele beworben hatte. Ein Segen für Stadt und Olympia. Die Sommerspiele von 1912 sind als „Sonnenschein-Olympiade“ in die Geschichte eingegangen. Traumhaftes Wetter mit strahlend blauem Himmel lockte zehntausende Besucher ins Stadion, die Temperaturen erreichten bis zu über dreißig Grad.

Zum ersten Mal: Zielfotos

Mit den Spielen wurden viele Neuerungen eingeführt. So gab es in Stockholm zum ersten Mal Zielfotos, und die Zeit wurde elektronisch gestoppt. Auch wurden zum ersten Mal exklusive Filmrechte der Sportveranstaltung vergeben. Für Schweden als Nation waren die Spiele ein prägendes Ereignis.

„Man wusste nicht, dass Sport solche Formen annehmen kann. Dass dadurch nationalistisches Verhalten hervorgelockt werden könnte, oder dass Sieger von einem Großteil der Bevölkerung bewundert werden. Durch die olympischen Spiele 1912 hat man den Leistungssport erst richtig kennengelernt“, sagt Professor Lindroth.

Die Schweden erlebten also auch ein neues Nationalgefühl. Spontan wurden Flaggen gehisst und in den Zuschauerreihen die Nationalhymne angestimmt; Landsleute wurden mit Sprechchören angefeuert.

„Zu dieser neuen Lebenserfahrung gehörte auch, das das Publikum sich recht ungehemmt verhalten konnte, oder dass sich Damen sogar mit ihrem männlichen Sitznachbarn unterhalten konnten, auch ohne vorher vorgestellt zu werden.“

Schweden im Medaillenrausch

Die Herren und Damen in den Sitzreihen, sowie die königlichen Gäste auf den Tribünenplätzen bekamen etwas geboten. Schweden befand sich regelrecht im Medaillenrausch. Nach dem damaligen Medaillenpunkte-System war Schweden mit 64 Medaillen die erfolgreichste Nation.

Die Spiele waren aber auch von amüsanten Anekdoten geprägt. Der Gründer der neuzeitlichen Spiele, Pierre de Coubertin, hatte etwa neue Disziplinen eingeführt, so Professor Lindroth.

„Er hatte die Vorstellung, dass in der Antike auch in Disziplinen wie Malerei oder Poesie angetreten worden war. Das ist falsch, das wurde nicht gemacht, aber Coubertin wollte es so. Also wetteiferte man 1912 zum ersten Mal in der olympischen Geschichte auch in künstlerischen Disziplinen. Coubertin organisierte das persönlich. Und er gab sich auch selbst den ersten Platz in Literatur mit seinem Werk ‚Ode an den Sport‘.“

Das fiel aber laut Lindroth erst lange Zeit später auf, denn Coubertin hatte sein Werk unter einem Pseudonym eingereicht.

Der verschwundene Japaner

An den Olympischen Spielen nahmen 1912 rund 2.500 Sportler, zum ersten Mal aus allen fünf Kontinenten teil. Auch eine Delegation aus Japan war zum ersten Mal dabei. Einer der Teamkollegen sorgte für besonderes Aufsehen. Der Marathonläufer Kanaguri Shiso ging während des Rennens verloren. In der Nähe von Stocksund, nördlich von Stockholm, verließen Shiso die Kräfte und er brach das Rennen ab. Er folgte der Einladung eines Paares, einen Saft zu trinken. Erst viel später verließ er seine Gastgeber wieder und reiste aus Scham heimlich nach Japan zurück. Erst Jahre später beende Shiso als 75-Jähriger das Rennen, mit einer Zeit von 54 Jahren, 8 Monaten, 6 Tagen, 8 Stunden, 32 Minuten und 20 Sekunden.

Keine Sommerspiele mehr in Stockholm

Auch wenn die Sommerspiele von 1912 sowohl für Stockholm als auch für die Olympische Bewegung ein Segen waren, so wird es wohl nie wieder Sommerspiele in der schwedischen Hauptstadt geben, dieser Überzeugung ist Gunilla Lindberg, Vorsitzende des Schwedischen Olympischen Kommittees.

„Stockholm ist heute zu klein, die Olympischen Spiele sind uns über den Kopf gewachsen. Die Logistik bei einer solchen Veranstaltung verlangt einfach nach einer größeren Stadt. Es geht nicht um Stadien, das würden wir noch hinbekommen, aber es braucht größere Hotelkapazitäten und Platz für zusätzliche Arrangements. Leider.“

(Quelle: Radio Schweden)
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